…seine Haut, das ist die Rinde, sein Haupt und Haar sind die Wurzeln, es hat seine Figur, seine Zeichen, seine Sinne und die Empfindlichkeit im Stamme. Sein Tod und sein Sterben sind die Zeit des Jahres …,
schrieb Paracelsus einst über das Lebewesen Baum.
So wie unsere Haut unseren Körper vor Kälte und Umwelteinflüssen schützt, so schützt auch die Rinde Bäume und Sträucher vor Einflüssen, die von außen einwirken. Das Kambium – die innenseitige grüne Schicht der Rinde – ist sozusagen die „Speiseautobahn“ des Baumes. Sie versorgt den Baum mit allen lebenswichtigen Nahrungsstoffen wie Zuckerlösungen, Stärke, Mineralien, Spurenelementen, Vitaminen und Ballaststoffen. Während der kargen Wintermonate oder in Notzeiten aßen unsere Vorfahren Baum- und Strauchrinden, als wichtige Nahrungs- und Sättigungsquelle für Zucker, Vitamin C, Calcium, Eisen, Kalium, Magnesium, Phosphor und viele weitere Stoffe.
Aromatischer Zimt
Wer von uns liebt nicht den Duft und Geschmack von Zimt in Apfelkuchen, Zimtschnecken, Lebkuchen, Zimtsternen oder in verfeinerten Fleischgerichten? Zimt ist eines der ältesten Gewürze der Welt – die Rinde eines Lorbeergewächses namens Cinnamomum. Wir unterscheiden zwischen Ceylon Zimt aus Sri Lanka, der süßer und aromatischer ist, und Cassia Zimt aus China mit seinem kräftigen schärferen Geschmack.
Zimt regt den Stoffwechsel an, wirkt wärmend, blutzuckersenkend, gegen Pilze, Bakterien und ist entzündungshemmend.
Wir haben in unserer modernen Zeit verlernt, diese vielfältigen kostbaren Gaben der Natur für uns zu nützen. Dazu schneidet man nicht wahllos Äste von Bäumen oder Sträuchern, sondern verwendet, was zur Verfügung ist: Äste nach Windbruch, nach Schlägerungen oder nach dem Baumrückschnitt. Verwendet werden können und wurden seit jeher Rinden von Bäumen und Sträuchern, deren Blätter und Früchte auch essbar sind.
Haselrinde – die Johannitagrind
„Johannitag Abendstund` hol Haselrinde für Krampf und Wund.“
In einem kleinen Waldviertler Grenzdorf wurde mir folgende Geschichte erzählt: Am Johannitag, der auch „Sommerweihnachtstag“ genannt wurde, konnten die Dorfleute die betagte Kräuterfrau und Wenderin beobachten, wie sie ihre Kräuter sammelte und dabei Gebete sprach. Zur „Frau Hasel“ ging sie zur beginnenden Abenddämmerung und schnitt unter Gebeten jene Menge an Ästen herunter, die sie nach ihrem Gefühl für das kommende Jahr bis zum nächsten Johannitag brauchen würde.
Hatte jemand Krämpfe, nahm sie eine Handfläche voll Haselrinde, kochte diese in Wasser, tauchte ein Tuch darin ein und legte es auf die krampfende Stelle. Krampften mehrere Körperstellen oder hatte jemand Fieber, wickelte sie die in Haselrindenwasser getauchten Tücher um die Unterschenkel und legte eines auf die Stirn.
Die Hasel gilt – wie auch Holunder und Wacholder – als mystische, uns besonders stark verbundene Pflanze. Am Johannitag schnitt man die Rute, welche als Wünschelrute zum Aufspüren von Wasseradern oder Schätzen verwendet wurde. Auch der Wanderstock, der vor Schlangenbissen schützen sollte, wurde am Johannitag geschnitten.
Die Hasel enthält als Mitglied der Birkenfamilie auch die wundheilenden, blutstillenden, zusammenziehenden und gefäßverengenden Inhaltsstoffe namens Betulin und Gerbstoffe.
Die Vielfalt der Hasel
Bei kleineren blutenden Verletzungen legte man zur Blutstillung und besseren Heilung der Wunde ein frisches Haselrindenstück mit der feuchten Seite zum Körper direkt über die Wunde. Auch gegen Warzen legte man täglich ein Stück Haselrinde über die Warze. Zur Unterstützung bei Magen-/Darmproblemen trank man Haselrindentee. Haselrindenasche in Kombination mit Birkenrinde wurde zum Rotfärben von Wolle genutzt. Richter trugen eine Halskette mit kleinen Rinden- und Holzstücken der Hasel auf Herzhöhe, um kluge und gerechte Entscheidungen treffen zu können.
Die Buche: Mehlersatz & Wundheilmittel
„Buchenrinde noch so klein, mahle dir zum Mehle fein, mache daraus gutes Brot, so hast du Speise in der Not.“
Als Mehlersatz und Mehlstreckmittel wurde die Buchenrinde in der Küche der einfachen Leute sehr geschätzt. Auch als Hausmittel begleitet uns die Buchenrinde schon viele Generationen. Sie wurde bei Husten, zum Fiebersenken sowie gegen Erkältungen als Tee getrunken. Dieser Buchenrindentee wirkt schleimlösend, kühlend und entzündungshemmend.
Ein Bauer erinnert sich an ein Erlebnis seines Onkels in seiner Kindheit: Es war gerade die Zeit des Apfelbaumschnitts. Der Onkel lehnte die Holzleiter an den Stamm und machte sich daran, die ungewollten Äste zu entfernen. Da seine Körpergröße zum Erreichen eines Astes um ein klitzekleines Stück nicht ausreichen wollte, er jedoch nicht extra von der Leiter herunterklettern wollte, um sie so zu positionieren, dass er den Ast leicht erreichen konnte, reckte und streckte er sich nach allen Künsten in Richtung des Astes. Als er ihn endlich zu fassen bekam, entglitt die Holzleiter unter seinen Füßen, er verlor den Halt und fand sich im nächsten Moment schmerzerfüllt am Erdboden liegend wieder. Seine Rufe alarmierten die Nachbarin, die sogleich zu Hilfe eilte. Sein rechter Fuß begann bereits anzuschwellen und schmerzte fürchterlich. Die Frau erkannte den Ernst der Situation und schickte ihren Sohn um den Knochenrichter, der im Tal, etwas außerhalb des Dorfes wohnte. So schnell er konnte, lief der Junge ins Dorf hinunter und eilte dem Bach entlang zum Knochenrichter. Dieser folge dem Burschen zurück zu dem Verletzten und versuchte mit ihm Schritt zu halten. Nach einiger Wegstrecke holte er etwas Buchenrindenstücke aus seiner Hosentasche und steckte diese in den Mund, um daran zu kauen. Bei dem Verletzten angekommen, begutachtete er den mittlerweile beträchtlich angeschwollenen Fuß, nahm die zwischenzeitlich zerkaute Masse aus dem Mund und legte sie über den Fuß des Verletzten, während er meinte, dies würde erst einmal kühlend wirken.
Dann brachten er und die Frau den Mann in die Stube, legten ihn in sein Bett, gaben ihm „ausreichend“ Zwetschkenbrand zu trinken, damit die Schmerzen erträglicher würden, während der Knochenrichter seinen gebrochenen Fuß wieder in die richtige Stellung brachte. Danach holte der Knochenrichter weitere Buchenrindenstücke aus seiner Hosentasche, vermischte diese mit warmem Wasser zu einem Brei, den er abgekühlt auf das Bein auftrug und ein Tuch darüberlegte. Dies wiederholte er eine Stunde später, ehe er eine Beinwellwurzel nahm, sie in kleine Stücke schnitt, ebenfalls mit Wasser vermengte, bis eine schleimige Masse entstand. Diese brachte er auf der Bruchstelle auf und wickelte einen Verband darüber. Der Verletzte musste zwar einige Tage liegenbleiben, der Bruch verheilte jedoch schnell und problemlos. Der Knochenrichter hatte immer Buchenrinde zur Wundbehandlung eingesteckt, einerseits kaute er diese gerne gegen das Durstgefühl, wenn er längere Wegstrecken zurückzulegen hatte, andererseits war es ein schnell verfügbares Mittel zur Erstbehandlung von Verletzungen.
Mehr über die wundervolle Welt der Verwendung von 33 verschiedenen Baum- und Strauchrinden mit Rezepten und Geschichten könnt ihr im Buchhandel erschienen Buch von Eunike Grahofer „Rindenmedizin – die Apotheke der Knochenrichter, Holzfäller und Hebammen“ (Freya Verlag) entdecken.
Aus CHI 03/22