Immer, wenn ich mich für etwas entscheide, entscheide ich mich gleichzeitig auch gegen etwas.
Stell dir vor, du möchtest Mutter oder Vater werden. In diesem Moment entscheidest du dich dagegen, dein Leben komplett frei und unabhängig für einen gewissen Zeitraum zu leben. Doch du entscheidest dich dafür, einen der größten Glücksmomente zu erleben, wenn du das erste Mal dein Baby in Händen hältst. So verläuft es immer in unserem Leben. Wir stehen oft genug an einer Gabelung und dürfen uns entscheiden, welche Richtung wir einschlagen.
Manchmal kommen wir Jahre später auf die Idee, mit dieser Entscheidung zu hadern. Wir beginnen uns zu verurteilen, weil wir aus heutiger Sicht, damals falsch entschieden haben. Doch wenn du dir bewusst wirst, dass du gewachsen bist, dazugelernt hast und heute einen anderen Blick auf die Dinge hast, wirst du erkennen, dass es sinnlos ist, dich schuldig zu fühlen und mit deinem Schicksal zu hadern. Damals dachtest du, es wäre das Beste so zu entscheiden und genau darum geht es, das auch anzuerkennen. Wo warst du damals? Wie waren die Umstände? Welche Zusammenhänge hast du schon gesehen? Hättest du damals überhaupt eine Möglichkeit gehabt, um anders zu handeln als heute?
Wenn du beginnst, aus diesem Blickwinkel auch die Entscheidungen deiner Eltern zu betrachten, wirst du erkennen, dass sie aus heutiger Sicht vielleicht etwas falsch gemacht haben, aber aus damaliger Sicht genau so entschieden haben, wie sie es für richtig hielten. Es bringt euch heute nicht weiter, wenn ihr euch gegenseitig Schuldgefühle einredet, sondern anerkennt, dass sie das Beste für alle wollten und die Entscheidung dadurch durchaus seine Berechtigung hatte.
Natürlich ist dieser Blickwinkel nicht einfach, denn vielleicht hatte es massiven Einfluss auf dein Leben. Doch was bringt es dir heute noch, das „Was-wäre-wenn“-Spiel zu spielen? Was bringt es dir, dich nach einem Weg zu sehnen, den du heute nicht mehr zurückgehen kannst? Denn genau dann gestaltest du deinen weiteren Weg immer nach dieser Sehnsucht und nach den Schuldgefühlen. Wenn du beginnst, im Hier und Jetzt auf den Weg zu schauen, der vor dir liegt, und mit deiner Vergangenheit Frieden zu schließen, indem du erkennst, was es dir Positives gebracht hat, dass der Weg war, wie er war, kannst du deine Zukunft aktiv gestalten. Wenn du beginnst, dich mit deinem Weg und den Entscheidungen deiner Eltern zu versöhnen, und ihnen den Platz gibst, der ihnen zusteht, den Platz der Eltern, die hinter dir stehen und von denen du nehmen darfst, wird es dir auch leichter fallen zu geben. Deinen Kindern, deinen jüngeren Geschwistern, jenen Menschen, die nach dir kommen.
Wenn du lernst zu nehmen, wirst du den Fluss von Geben und Nehmen in dir verstärken. Denk an eine stillende Mutter: Zuerst beginnt das Kind zu saugen und nimmt. Dadurch wird in der Mutter ein Vorgang in Gang gesetzt, der noch mehr produziert, um zu geben. Bist du bereit von deinen Eltern zu nehmen? Nicht im materiellen Sinn, sondern ihre Liebe, ihre Energie, ihre Fürsorge, ihre Kraft. Mit deinen Eltern im Rücken lässt es sich gut ins eigene Leben gehen. Doch dafür darfst du sie hinter dich stellen und nehmen, statt dich vor sie zu stellen, und zu glauben, ihnen ihr Schicksal nicht zumuten zu können. Denn sie waren schon lange vor dir da, haben ihr Leben gemeistert und das dürfen sie auch weiterhin tun. Gestehe ihnen zu, dass sie das Beste für dich getan haben, auch wenn es aus deiner rationalen Sicht nicht gereicht hat. Mehr war in diesem Moment nicht möglich, egal warum. So wie du deine Geschichte hast, aus der du handelst und agierst, haben auch sie ihre Geschichte, aus der heraus sie nur das geben konnten, was sie gaben. Dies war das Beste und das Einzige, was sie zu geben hatten.
Vielleicht ist gerade diese besondere Vorweihnachtszeit eine gute Gelegenheit, um darüber zu reflektieren und deinen Frieden mit dir und deinem Leben zu schließen.