Gänseblümchen: Blume des Lebens

von Christine Bauer

Die Familie ist die Keimzelle unserer Gesellschaft. Im Idealfall ist sie ein Ort des Ankommens, von Geborgenheit, Verständnis, Fürsorge, Identifikation, Zusammengehörigkeit und geliebt werden. Der Raum, an dem du Wurzeln bekommst, Kraft, das Rüstzeug fürs Leben und letztendlich die Flügel, um die Welt zu erobern. Doch was hat das mit dem Gänseblümchen zu tun?

 

Anfangs ist die Familie klein und überschaubar: Mutter, Vater, Kind. Später kommen Verwandte ins Spiel, Oma, Opa, Onkel, Tante und viele mehr. Die Kinder werden flügge und eines Tages ist die Familie über die ganze Welt verteilt. Im Pflanzenreich verhält es sich ähnlich, hier sprechen wir von Pflanzenfamilien. Es gibt die Familie der Doldenblütler, Korbblütler, Kreuzblütler, Süßgräser, Kürbisgewächse und viele mehr. Von jeder Familie gibt es zahlreiche „Familienmitglieder“ – also Arten. Sie unterscheiden sich oft sehr in Größe, Standort, Blütezeit, Aussehen und so weiter. Am Beispiel der Blütenkörbe erkennst du die Familie der Korbblütler. Das ist das gemeinsame Merkmal dieser Familie. Prominente Vertreter sind etwa Gänseblümchen, Arnika, Ringelblume, Kamille, Sonnenhut, Mutterkraut, Wermut und Löwenzahn. Du wirst Korbblütler auf der ganzen Welt finden – alles eine Familie.

Es ist so wunderbar aus der Natur zu lernen

Zu beobachten, wie unterschiedlich die Mitglieder der Pflanzenfamilie sind und doch zusammengehören. Zusammen bilden sie eine Gemeinschaft, die sich ergänzt und gegenseitig nährt. Natürlich gibt es ranghöhere und rangniedere Pflanzen und keine würde aus ihrer Bestimmung ausbrechen wollen. Sie ist einfach, was sie ist. Genauso, wie es in der Familie sein sollte. Die Signatur der Pflanze erzählt sehr viel über ihre Verwendung. Schon Paracelsus sagte: Alles Innere soll man an dem Äußeren erkennen. Im Zeitalter von Handy, WhatsApp, Zoom und Instagram hat man leider oft den Blick für das Wesentliche verloren. Lieber googelt man heute eine Pflanze, als diese genau zu betrachten.

An der Form der Blätter, der Menge und Form der Früchte kann man beispielsweise fruchtbarkeitsfördernde Pflanzen erkennen. Pflanzen die an der Unterseite silbrig-grau sind, werden dem Mond zugeordnet und verkörpern das männliche Prinzip. Rote Streifen auf Blättern oder Stielen sind ein Zeichen dafür, dass die Pflanze in einer Form auf das menschliche Blut wirkt.

Allerding ist bei der Verwendung von Kräutern auch Vorsicht geboten. Nicht alle Kräuter sind nämlich für Schwangere geeignet. So können beispielsweise Frauenmantel oder Himbeerblätter frühzeitige Wehen auslösen, da sie die Muskulatur stimulieren. Auch von übermäßiger Anwendung der Kamille ist abzuraten. Hin und wieder etwas Kamillenöl oder -tee hingegen wirkt entspannend und wohltuend auf Schwangere. Auf das richtige Maß kommt es eben an.

 

Stark: das kleine Gänseblümchen

Anhand des unscheinbaren kleinen Gänseblümchens möchte ich aufzeigen, was so ein Pflänzchen leisten kann. Ich nehme euch mit auf die Reise durch ein Menschenleben. In den verschiedenen Stationen des Lebens steigt es ein oder aus. Gerade im Frühling kümmern sich einige Pflanzen ganz besonders um unsere Kinder. Das Gänseblümchen fasziniert bereits Babys bis hin zu den Erwachsenen. Das Gänseblümchen (bot. bellis perennis) setzt sich aus den Wörtern bellus = hübsch und perennis = ausdauernd zusammen.

Kein Wunder, die mehrjährige Pflanze blüht auch das ganze Jahr und ist sogar unter der Schneedecke zu finden. Sie ist immer da und wartet geduldig darauf, gefunden oder gebraucht zu werden. Sie hat viele Namen zum Beispiel Tausendschön, Maßliebchen, Marienblume oder Monatlan.

Gänseblümchen unterstehen der Sonne, sie richten ihr Köpfchen immer nach ihr aus. Es sieht ja sogar der Sonne etwas ähnlich. Die rosa Rückseite der Blütenblätter ist ein Hinweis auf die Verbundenheit der Pflanze mit der Venus – also auch eine Fruchtbarkeits- und Frauenpflanze.

Weiters hat das Gänseblümchen aber auch eine mondhafte Signatur. Sie öffnet und schließt ihre Blüten im Rhythmus des Lichts. Das ist wiederum ein Hinweis auf die Gebärmutter, die sich im monatlichen Rhythmus, im Einklang mit dem Mond, öffnet und schließt. In der Frauenheilkunde und Geburtshilfe wird das Gänseblümchen gerne – oft als homöopathisches Präparat – eingesetzt, etwa zur Förderung der Rückbildung nach der Geburt.

Gänseblümchensalbe selbermachen
Pflücke eine Handvoll Blüten und frischen Blätter des Gänseblümchens, gib alles in einen Topf und stelle einen warmen Ölauszug her. Gieße das Öl ab, gib Bienenwachs dazu und fülle die Salbe ab.
Du brauchst: 1 Handvoll Gänseblümchenblüten und -blätter, 200 ml neutrales Speiseöl oder Schmalz, 20 g BienenwachsDiese wunderbare Pflegesalbe für die ganze Familie kannst du mehrmals am Tag auf die betreffende Stelle auftragen. Gänseblümchensalbe wirkt wundheilend und entzündungshemmend, ist ideal bei Windelausschlag und offenen Brustwarzen während der Stillzeit, hilft bei Abschürfungen, blauen Flecken oder bei Hautunreinheiten in der Pubertät. In späterem Alter kann es Pigmentflecken lindern. Sie strafft das Bindegewebe und kräftigt den in Mitleidenschaft gezogenen Beckenboden. Daher kommt auch der Name „Arnika der Gebärmutter“ für das Billis perennis.

Das Gänseblümchen ist eine Zeigerpflanze

Schließt es seine Blüten, ist es an der Zeit nach Hause zu gehen, denn es kündigt sich Regen an. Deshalb wurde sie früher Regenblume genannt. Abends schließt es die Blüten und öffnet sie erst morgens wieder. Früher wurde in der Landwirtschaft sehr auf diese Zeichen geachtet. So hat man sich bei der Heuernte beeilt oder sich über den längst fälligen Regen gefreut.

Das Gänseblümchen blüht im kurzgeschnittenen Gras, reift heran und verblüht in vollendeter Schönheit. Kaum jemand hat je bewusst ein verblühtes Gänseblümchen wahrgenommen. Diese Kraft und Stärke schenkt es auch uns. Diese Pflanze hat ein weiches herzliches Wesen, das Verletzungen heilen kann, die entweder in der frühen Kindheit oder im Zusammenhang mit der Sexualität oder den Sexualorganen entstanden sind. Die Macht dieser kleinen, zarten, unscheinbaren und ausdauernden Pflanze lehrt uns und hilft uns die Ereignisse eines Menschenlebens besser zu verstehen und zu verarbeiten.

Später, im Alter, wenn wir wieder wie die Kinder werden, schließt sich der Kreis. Eine Pflanze fürs Leben – das Gänseblümchen. Schon ihr Anblick zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, erinnert mich an meine Kindheit, als wir mit Gänseblümchen kochen spielten oder Blumensträuße für die Mama pflückten. Wir haben sie in unser Haar geflochten und spielten Prinzessin. Später machte ich diese Dinge mit meiner Tochter. Und vielleicht, irgendwann, werde ich es auch mit meinen Enkelkindern so machen …


Den ganzen Artikel findest du hier in Ausgabe 04/22

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