„Du bist zu empfindlich!“, „Stell‘ dich nicht so an!“, „Du musst dir ein dickeres Fell anschaffen!“ oder „Du nimmst dir alles zu sehr zu Herzen!“ sind Aussagen, die sicherlich jeder hochsensible Mensch mindestens einmal in seinem Leben gehört hat.
Dabei können diese Aussagen von Menschen aus unserem beruflichen, familiären, freundschaftlichen oder partnerschaftlichen Umfeld stammen. Je nachdem, in welchem (emotionalen) Verhältnis wir zu dem Gesprächspartner stehen und in welcher Situation dies geschieht, können uns diese Ausrufe massiv verletzen. Schließlich spüren die meisten von uns bereits seit ihrer Kindheit, „dass wir anders sind“. Doch sind wir deshalb falsch, so wie wir sind? Definitiv nicht. Wir dürfen lernen, unsere Andersartigkeit anzunehmen und sogar schätzen zu lernen.
Aber wie sieht diese Andersartigkeit von Menschen aus, die sich selbst als hochsensibel bezeichnen?
Die amerikanische Psychologin Elaine Aron erforschte in den 1990-er Jahren das Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität. Es zeichnete sich ab, dass hochsensible Menschen (kurz: HSP) besonders empathisch, kreativ und oftmals naturverbunden und tierlieb sind. HSP möchten gern ihren Anteil dazu beitragen, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen, weshalb viele von ihnen in sozialen, kreativen, künstlerischen oder beratenden Berufen tätig sind.
Andererseits wiederum nehmen sie äußere Reize, wie beispielsweise laute Geräusche, grelles Licht, große Menschenmengen oder starke Gerüche besonders intensiv wahr. Auch fällt es Hochsensiblen oftmals schwer, Nein zu sagen. Sie fühlen sich mitunter selbst-unsicher, sind perfektionistisch veranlagt und leichter kränkbar. Ebenfalls erspüren sie aufgrund ihrer starken Empathie und Feinfühligkeit nicht selten die Stimmung eines oder mehrerer Menschen und saugen mitunter (unbewusst) dessen Emotionen auf wie ein Schwamm. Dies kann – ebenso wie die zuvor geschilderte verschärfte Wahrnehmungsfähigkeit – leider manchmal überfordernd und kräftezehrend wirken.
Hochsensible Menschen sollten daher besonders gut auf die Einteilung ihrer Energieressourcen achten und sich zwischendurch Auszeiten nehmen, um den inneren Akku wieder aufzufüllen. Zeit allein zu verbringen, in die Natur zu gehen, sich ein entspannendes Bad zu gönnen oder ein schönes Buch zu lesen kann beispielsweise hilfreich sein.
Im Laufe der Zeit fällt es zunehmend leichter, sich Strategien und Tools anzueignen, die Hochsensiblen dabei helfen, mit ihrer Sensibilität besser umzugehen. Es wird uns jedoch nicht verwundern, wenn „normal-sensible“ Menschen sich häufig schwer damit tun, sich in sie hinein zu versetzen, da ihre Persönlichkeit anders beschaffen ist und sie daher bestimmte – für die Hochsensibilität typische – Phänomene wie Reizüberflutung und die intensive Empathiefähigkeit nicht nachvollziehen können.
Solange es sich dabei um weniger nahestehende Menschen handelt, lässt sich der Umgang miteinander relativ gut handeln. Was aber, wenn es sich bei unserem Herzensmenschen um einen „normal-sensiblen“ Menschen handelt? In diesen Konstellationen entstehen häufig verschiedene Herausforderungen oder sogar Konflikte. Damit die Harmonie und die gegenseitige emotionale Verbundenheit keinen Schaden nehmen, ist es wichtig und sinnvoll, einen guten Umgang damit zu entwickeln. Sicherlich kann es ebenso zwischen zwei hochsensiblen Partnern zu Herausforderungen kommen. Allerdings fällt es diesen oftmals leichter, miteinander Lösungen zu finden, da sie sich in ihrer Persönlichkeitsstruktur sehr ähnlich sind und sich daher leichter in ihr Gegenüber hineinversetzen können.
Ein wichtiger und zugleich relativ simpler Punkt bei Partnerschaften zwischen einem hochsensiblen und einem „normal-sensiblen Menschen“ ist, sich als HSP in verschiedenen Situationen immer wieder vor Augen zu führen, dass wir Dinge anders wahrnehmen und empfinden und daher auch unserem Gegenüber zugestehen, dass er die Welt mit seinen eigenen Augen sieht. Wir können nicht erwarten, dass er dieselbe Perspektive einnimmt oder sogar einnehmen kann.
Diese Erkenntnis nimmt beiden Seiten viel Druck. Unterstützend ist zudem eine offene und zugleich nicht wertende und urteilende Kommunikation und Haltung zum Gegenüber. Dabei dürfen wir offen und ehrlich unsere Sicht der Dinge schildern, um unseren Gesprächspartner so weit wie möglich an unserer Perspektive teilhaben zu lassen. Auch können wir unsere Bedürfnisse ansprechen und um Rücksichtnahme und Verständnis bitten.
Da sich in einer gut funktionierenden Partnerschaft beide Herzensmenschen respektvoll auf Augenhöhe begegnen, sollten beide Seiten an dem Wohlbefinden des anderen interessiert sein …