Ist mein Partner ein Narzisst?

von Nicole Katzenschlager

„Ich glaube, mein Partner ist ein Narzisst!“ – Diesen Satz höre ich heute deutlich häufiger in meinen Beratungen als noch vor einigen Jahren.

Für mich ist „er/sie ist ein Narzisst“ jedoch auch ein Modebegriff geworden. Das Potenzial zum Narzissmus träger jeder von uns in sich. Es kommt auf die Ausprägung an. Wie schon Paracelsus sagt „Die Dosis macht das Gift“. Wir finden sowohl bei Männern als auch Frauen Persönlichkeiten mit narzisstischen Merkmalen, das Verhältnis ist etwa 75 % Männer zu 25 % Frauen. Ich gendere in meinem Artikel nicht, das bedeutet, die Themen sind für beide Geschlechter gleich. Bei Unterschieden gehe ich explizit darauf ein.

Starten wir mit dem gesunden Maß

Eine gesunde Liebesbeziehung macht das Wechselspiel zwischen Selbstbestimmung, Verbunden-sein, Entspannung und Sicherheit aus. Als Persönlichkeit sollten wir bei der Selbstbestimmung die Mitte zwischen Selbstsucht und Selbstverleugnung finden. Fragen in einer gesunden Beziehung die mit Ja, Ja, Ja! beantwortet werden, sind: „Bist du für mich da?“ „Bin ich dir wichtig?“ „Kann ich mich auf dich verlassen?“

Klienten die in einer Beziehung mit einem Narzissten (ich nenne diese Beziehung auch toxische Beziehung) leben, können diese drei Fragen sehr schnell mit „Nein“ beantworten. Dann kommt meistens ein kurzes Schweigen. „Naja, das war nicht immer so, zu Beginn war bei uns alles harmonisch. Ich wurde förmlich auf Händen getragen.“ Auch das ist ein Merkmal der Narzissten: Anfangs gelingt ihnen alles, um den Partner auf Wolke sieben schweben zu lassen, sie heben den Partner förmlich in die Höhe, verehren und bewundern ihn, lesen seine Wünsche von den Augen ab. „Du bist meine Seelenverwandte, Sex war noch nie so toll, wir verstehen uns, ohne miteinander zu reden …“ Sie haben dem Partner gezeigt, wie tiefgründig und verbindlich eine Beziehung sein kann und ziehen leider genauso immer wieder den Liebesstecker. Damit bringen sie den Partner zur Verzweiflung, bis hin zur Selbstaufgabe. Ich habe leider immer wieder erlebt, das manche Menschen sogar in der Psychiatrie landen und sich erst dann trennen können, sofern die Kraft und finanzielle Mittel da sind.

Die Beziehungen von Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeit zeichnet sich dadurch aus, dass er/sie

  • erwartet, dass man ihr/ihm Aufmerksamkeit und Vorrechte gewährt, fühlt sich ihrerseits aber zu nichts verpflichtet.
  • in Rage gerät, wenn man ihr/ihm die Privilegien, die ihr/ihm angeblich zustehen, streitig macht.
  • andere ausnützt und manipuliert, um die eigenen Ziele zu erreichen.
  • wenig Empathie bekundet und von den Gefühlen der anderen kaum (bzw. nicht mehr) berührt wird.

Man kann sich jetzt sicher gut vorstellen, dass eine solche Beziehung einer Hochschaubahn gleicht. Wer dafür nicht gebaut ist, geht dabei zugrunde.

Beziehung auf dünnem Eis

Selbst wenn Klienten schon wissen, dass sie in der Beziehung auf verlorenem Posten sind, glauben einige, eine solche Persönlichkeit bekehren zu können. „Sie war ja arm in der Kindheit, ich muss ihr zeigen, dass es auch anders geht“, sagte erst kürzlich ein junger Mann, den seine Freundin an der Nase herumgeführt hat. Er bezahlte brav ihre Rechnungen, während sie ihr Geld für Dessous ausgab, um damit ihren Drang nach Anerkennung bei anderen Männer zu stillen.

Paare haben oft eines gemeinsam: geringen Selbstwert. Der Narzisst hat diesen ja schon von Anfang an. Geschickt kann er das verstecken. Der Partner jedoch hatte vielleicht zu Beginn der Beziehung noch einen gesunden Selbstwert, gab ihn jedoch im Laufe der Zeit auf. Grenzen zu setzen wird nicht mehr möglich. Je mehr das versucht wird, um so enger setzt sie der Narzisst bei seinem Gegenüber. Wenn der Partner noch dazu ein Empath ist (im übrigen sind das die Lieblingsopfer), versucht er zu kalmieren, einzulenken oder gar die Schuld bei sich zu suchen. Eine wahre Freude für einen Narzissten.

Schwieriger Ausweg

Der Weg aus einer Beziehung mit einem Narzissten ist möglich, kann jedoch mehr oder weniger steinig ausfallen.

In der Beratung geht es zuerst darum,

  • die emotionalen Verletzungen aufzuarbeiten,
  • die eigenen Ressourcen zu entdecken und zu stärken,
  • die Selbstfürsorge zu pflegen
  • zu erkennen, wo die eigenen Grenzen sind, um sie klar setzen zu können,
  • soziale Kontakte und Netzwerke aufzubauen

In den weiteren Sitzungen geht es dann

  • um die Begleitung bei Trennung und/oder Kontaktabbruch, was meistens mit Ängsten, emotionalen Entzugserscheinungen oder existenziellen Befürchtungen verbunden ist,
  • darum, den eigenen Anteil an der Beziehung zu würdigen,
  • um das Arbeiten mit inneren dysfunktionalen Anteilen und dem Inneren Kind,
  • um den Blick auf die Herkunftsfamilie, die vererbten Muster, Glaubenssätze, Ge- und Verbote,
  • darum, alte Wunden zu schließen und mit mehr Achtsamkeit und Bewusstheit im Leben zu stehen.

Weit schwieriger ist der Ausstieg aus einer solchen Beziehung, wenn es gemeinsame Kinder und/oder gemeinsame wirtschaftliche Werte gibt. Mit Kindern ist der Ausstieg für die Frau eines narzisstischen Mannes zwar ein räumlicher Wechsel, die Aufarbeitung und Distanzierung zum Erlebten jedoch dahingehend schwieriger, da sie durch die Kinder ständig weiterhin mit dem Vater konfrontiert ist. Abwertungen, Demütigungen und Anschuldigungen finden dabei oft weiter statt.

Ein Sich-sammeln und auf die Beine kommen ist hier wesentlich langwieriger, das Setzen von Grenzen umso wichtiger. Ein gesundes soziales Netz, Hilfe suchen und annehmen sind hier essentiell. Ich empfehle immer auch eine psychologische Begleitung für die Kinder, damit die Mutter im Ausbalancieren der Mutter-/Vater-Rolle entlastet wird. In sehr schwierigen Fällen auch das Hinzuziehen von öffentlichen Stellen.

Auch Männer leiden

Der Ausstieg ist jedoch auch für Männer einer narzisstischen Frau schwierig. Den Drang nach Anerkennung von anderen Männern haben sie ja schon in der Beziehung erlebt und sie sorgen sich häufig, dass ihre Kinder nicht gut versorgt werden. Der Spagat zwischen Entziehung des Sorgerechts und der Überzeugung „die Kinder brauchen ja ihre Mutter“ ist sehr schwierig. Auch hier gelten der Weg der Selbstfürsorge und die Abgrenzung zwischen Mann- und Vater-Rolle.

Eine weitere Erschwernis ist es zweifelsohne, wenn die eigene wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht, etwa wenn Frauen im Unternehmen des toxischen Mannes arbeiten, oft gar nicht oder nur geringfügig angestellt sind. Die Vorteile der Vereinbarkeit mit der Kinderbetreuung wird dann zum Albtraum bei dem Gedanken, die Beziehung mit den Kindern zu verlassen. Jedoch auch umgekehrt, wenn die narzisstische Frau beispielsweise im Unternehmen arbeitet und es partout nicht verlassen will.

Mag sein, dass das alles jetzt vielleicht sehr „schwarzgemalt“ wirkt. Doch ich bin aus meiner Praxis einiges gewöhnt und berate meine Klienten sehr realistisch darauf vor, was auf sie zukommen kann und welche Hilfe sie zusätzlich annehmen sollten, um die Zeit der Trennung so kurz und energievoll wie möglich zu gestalten und zu bewältigen. Eine starke Widerstandskraft ist in jedem Fall notwendig, ebenso wie Ausdauer- und Durchhaltevermögen. Stets mit dem Ziel vor Augen: „Alles wird wieder gut und dann viel, viel schöner!“

 

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